Bis vor wenigen Jahren las ich Tageszeitung, Wochenzeitungen und Zeitschriften, hörte mindestens einmal täglich Radio-Nachrichten, guckte wenig fern, blätterte in den Abstimmungsunterlagen und diskutierte mit den Menschen in meiner Nähe. Ich war auf dem Laufenden, fühlte mich gut informiert und aufgeklärt.
Nun schnüffle ich auch im Internet nach Informationen. Um’s geradeaus zu sagen: Ich finde viel, aber kaum nützliches, was ich nicht woanders auch gefunden hätte. Würde ich die dafür zerrinnende Zeit nicht als Hobby – also freie Zeit – abbuchen, wäre das Verhältnis von Aufwand und Ertrag nicht prekär, sondern ruinös. Einst nach einer Stunde im Bilde, bin ich heute selbst nach einer Arbeitsschicht immer noch auf der Suche…
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Kompakt-Medien… Multitasking 1933
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Morgens 8 Uhr sitze ich im Büro. Während der erste Kaffe in einen Becher rinnt, starte ich den Rechner. Bevor ich das Mail-Programm öffne, logge ich mich bei Twitter ein. Tausende Tweets hätte ich am Abend und in der Nacht in meiner Timeline abrufen können. Was habe ich verpasst? Jemand mit 1040 Followern schrieb; „Den anderen gleich mal auf seinem Podest kaltstellen“ (2 Retweets, 8 Favoriten) oder „Ist das schlimm, wenn man anfängt mit dem Türrahmen zu sprechen und wenn ja, wieso seid ihr gemein zu Herbert?“ (3100 Follower, 4 Retweets, 49 Favoriten). Dann gehaltvoller: „au mann. „ich find das grad sehr zum kotzen. sbb. avenirsuisse. ga.“ (2200 Follwer, 2 Retweets, 4 Favoriten). Schliesslich Pingpong-Tweets, es geht um „Carlos“. Ich lese von „Falsche Fragen, erschreckende Antworten“ (1. Tweet) bis „Opfer der Gewalttat hat Trauma…“ (14. Tweet) und vergleiche dies mit dem Informationsgehalt einer Bazooka Kaugummipackung. Bazooka gewinnt. Höchste Zeit, mit der Arbeit anzufangen.
Ich ordne die Mails nach Dringlichkeit und konzentriere mich auf meine Aufgaben. Den Vormittags-Kaffee mit Kollegen lasse ich ausfallen. 300 neue Tweets sind da. Unter ihnen viele erfreuliche Grüsse von Tweeties, die mir ans Herz gewachsen sind. Ich antworte kurz und fave. Auch den einen oder anderen Link zu Online-Portalen – fast ausschliesslich bekannter Verlage – klicke ich an. Dann starte ich wordpress, lese die frischen Blogposts, finde amüsant Alltägliches, künstlerische Versuche, Fotoexperimente, Gehaltvolles… Ein schöner Mix, eine feine Illustrierte, die ich mir selbst zusammenstellen kann. Die Pause ist bereits wieder überzogen. Arbeitsrückstand! Mittagspause gestrichen.
Nicht ganz! Zwischen Salat und Kaffee bleibt dann doch Zeit, bei Twitter nachzusehen, ob’s Erwähnungen gibt. Gibt’s nicht – ok. Ein paar hundert Tweets ignoriere ich, überfliege einige Portale wie persoenlich.ch, medienwoche.ch und infosperber.ch (um das Gleichgewicht zu wahren und mich nicht auf wirtschafts- respektive SVP-nahe Portale zu beschränken) und schau nochmal bei wordpress vorbei. Und so weiter…
Auf dem Heimweg dann umgeben mich Menschen, die eins sind mit ihrem Smartphone. Ich schaue ihnen über die Schulter. Ausnahmslos scrollen die Leute durch Facebook-Profile, spielen mit fallenden Klötzchen im Display oder wischen und tippen durch Musiklisten. Unweigerlich geht mir Enzensberger durch den Kopf: Nullmedium. Unterwegs habe ich keinen Internetzugang, bewahre mir netzfreie Zonen. Auch aus Spargründen. Das Einsteiger-Smartphone nutze ich als Telephon. Mein Arbeitgeber erwartet von mir (und bezahlt mich dafür), dass ich erreichbar bin. Im Zug sitzend breiten sich auf meinem Knie 200 Seiten auf Papier gedruckte Reflexion über Terrence Malick aus. So was finde ich auf keinem Film-Blog.
Abends daheim zücke ich hin und wieder Sohnemanns iPad – any Erwähnungen? – vielleicht verbringe ich einen Abend am Rechner, recherchiere, höre Musik, schneide ein Video, schreibe im Blog, twittere. Oder ich mache ganz was anderes und tausche das digital/glasige Interface gegen Papierenes, Duftendes, Warmes… Ein paar Stunden mit dem Schatz. Aufräumen, Aufgaben, Aufatmen. Beziehung, Bewegung, Betreuung. Maxim Gorkis Die Mutter statt mamablog von Tamedia. Ich bin ein Fan der Informationsaufnahme jenseits der Displays.
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Null-Medien… Multitasking 2013
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Verwahrlosende Massenmedien
Ich will die verschiedenen Medien nicht gegeneinander ausspielen, wende mich aber gegen die aus meiner Sicht zu optimistische Lobpreisung neuer Infokanäle wie Blogs oder Microblogs, sowie die damit einhergehende Diskreditierung traditioneller Informationskanäle. Diese werden zwar durch das Angebot im Internet erspriesslich ergänzt. Gleichzeitig fördern sie die Erosion des alten Mediensystems. Das Bedürfnis nach Abonnements- und Kaufzeitungen schwindet und damit die Finanzierung von qualitativ hochstehendem und unabhängigem Journalismus. Auch die Akzeptanz gegenüber einem urdemokratischen Projekt wackelt: der Produktion öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehprogramme. Wirtschaftsliberalen Kräften widerstrebt es, dass wir alle solidarisch für ein ausgewogenes und seriöses Informations- und Unterhaltungsangebot zahlen. Die Privatisierer schimpfen über Zwangsgebühren oder Gebührenmonster. Wer in der Sahara Solarien verkaufen will muss die Botschaft zuspitzen.
Der Deal könnte gelingen. Denn im Wettkampf um Aufmerksamkeit haben die der Information und Aufklärung verpflichteten Kanäle kaum mehr eine Chance. Die Logik einer langjährigen, perfiden Strategie! Die selben Kräfte, die heute die Freiheit der Medien proklamieren (aber die gekaufte Information meinen) bodigten vor etwa 30 Jahren die Monopole des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und der Schweiz. Die Medienlüge damals: Das Angebot wird vielfältiger, spannender, unterhaltsamer, unabhängiger, günstiger… Wer nur kurz zum amerikanischen Markt schielte, wusste, dass es nur wenige Jahre dauern würde, bis wir im selben Info-Schlamassel stecken würden wie die Amis. Die Annahme war falsch: es ging noch viel rascher.
Etwas länger dauerte es, bis die ehemaligen Monopol-Sender ihre Programme den Privaten anpassten, um im Konkurrenzkampf nicht gänzlich nieder geprügelt zu werden. Und noch etwas mehr Zeit musste vergehen, bis die Medienschlawiner von damals wieder ins Rampenlicht zottelten, um den einstigen Monopolsendern – denen sie unterdessen das Etikett Staatssender verpassen – Irrelevanz vorzuwerfen. Und irrelevante Sender würden auch keine Abzocker-Gebühren verdienen. Der Kreis dürfte sich bald schliessen.
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Verelendende Massen
Dann dürfe es finster werden für die Massen. Und das ist wahrhaft skandalös: Durch die Umwälzung der Medienlandschaft weitet sich zwar das Informationsangebot völlig unkontrolliert aus, der Zugang für die Mehrheit der Menschen wird jedoch immer schwieriger. Profitieren tut eine elitäre Info-Aristokratie, die sich den zeitlichen Aufwand leisten kann und fähig ist, das völlig unstrukturierte Internetangebot für sich zu organisieren und nutzbar zu machen. So vermute ich die allmähliche Herausbildung „… einer Digital Divide, also einer sozialen Spaltung in der Art des Umgangs mit dem neuen Medium, durch die sich die bereits bestehenden Differenzen im Grad der demokratischen Beteiligung nur noch weiter vertiefen könnte.“ (1)
September 24, 2013 at 08:30
Du machst ja kurzen Prozess mit diesem meinem Internet!! Das kann ich so nicht gutheißen;-)
tl;dr:
Zunächst: Ich denke, Du hast Recht mit Deiner Analyse der Medienentwicklung, und sicher auch teilweise mit den Prognosen. Aber die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten, und so haben – das ist eine gute Nachricht – die alten, unabhängigen Medien längst verstanden, wohin die Reise geht. Viele bieten bereits Formate und Abonnements an, die Orientierung in und einfachen Zugang zu Wissens- und Informationsarchiven bieten. Selbst an den verschiedenen Formen der Monetarisierung wird gearbeitet. Ist alles noch nicht super ausgereift, ist klar. Aber wir haben ja alle nurmehr einen schwachen Dunst von Ahnung, wo das Ganze hingehen soll.
Gleichzeitig gibt es verschiedene Trends in den sozialen Medien, die Deiner These widersprechen. Auf twitter, so wird in den letzten Jahren festgestellt, gibt es die Tendenz, vor allem die einflussreichen Seiten zu verlinken und zu empfehlen. So sammelt sich je nach Filterbubble der ein- oder andere faz-Artikel gleich 20x in meiner TL, während (durch offensichtliches Nicht-Funktionieren des RSS-Feeds und fehlendes Retweeten in meine TL) ich mir diesen Post von Dir ganz aktiv suchen musste. Indem ich nämlich auf Dein Profil gegangen bin, um zu sehen, wann Du eigentlich das letzte Mal gebloggt hast;-). Einen vermehrten Grad an Aktivität sehe ich absolut. Zunächst muss jede NutzerIn DAS Tool finden, mit dem sie persönlich am besten und schnellsten ihre Informationen zusammenstellen kann. Das braucht Zeit und Pflege, und die Medienkompetenz vieler ist nicht ausreichend. Was in meinen Augen ein Versäumnis des Bildungssystems ist, aber ich schweife ab. Dann aber, ist das/sind die Tools gefunden, lässt sich eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Informationen abrufen. Ein Feedreader, eine gut sortierte TL, ein professionelles facebook- oder xing-Netzwerk, dazu noch die gebookmarkten Seiten der Online-Zeitungen, die man schätzt. Das ist mehr als die Tageszeitung, bringt mir persönlich aber auch um einiges mehr als, sagen wir, die Lektüre der Badischen Zeitung, bei der ich mich kaum auf den Inhalt konzentrieren kann, so sehr ärgert mich das (fehlende) Lektorat.
Die Informationsgesellschaft, in der wir uns befinden, braucht Kompetenzen, um die Flut zu bewältigen und zu sortieren. Das höhere Maß an Engagement halte ich für einen positiven Aspekt, es kann auch Medienkompetenz fördern. Beim anderen Punkt, den Du ansprichst (und für den ja auch das verlinkte Video steht) bin ich wieder ganz bei Dir. „Informationsgesellschaft“ kann nicht heißen, dass wir jeden Schritt unseres Lebens via Smartphone dokumentieren. Die Offline- Welt nicht zu vergessen ist vielleicht auch wichtiger Bestandteil einer medialen Erziehung.
Dieser Dein Blogbeitrag hat mir heute wesentlich mehr gebracht als die Spiegel-Artikel und die taz, die ich bisher gelesen habe. Jetzt nur mal so;-)
September 24, 2013 at 19:29
Der kurze Prozess ist Produkt einer emotionalen Erregung. Darum ist der Artikel ziemlich geharnischt, vielleicht gar polemisch, wenn ich z.B.
Elendsmedienkonsum mit Elendsalkoholismus assoziiere. Letztlich fand ich die Zuspitzung im Schnellverfahren dann aber doch sinnvoll, als Hilferuf eines im Seichten Ertrinkenden. Oder jenem, dem die Puste auf dem Weg zur Erkenntnis ausgeht 😉Du beschreibst die Problematik selbst sehr schön: Da funktioneren RSS-Feeds nicht, RTs kommen nicht an, das richtige Tool, um für sich die Informationen zu filtern und aufzulisten, muss gefunden werden. Hey – ich habe ein Jahr lang an einer Hochschule Medienkompetenz geübt/studiert (Multimedia-Producing und Journalismus) und finde mich noch immer nicht zurecht mit all den zur Auswahl stehenden Instrumenten. Und genau darauf wollte ich hinaus: vor uns breitet sich ein gigantisches, sich ständig erneuerndes, ausuferndes Instrumentarium aus und ich kann damit nicht umgehen. Zumindest nicht so effizient, wie ich mir das wünsche und von den analogen Medien her gewohnt bin.
Damit bin ich nicht allein. Die Informationen der aktuellen, interessanten Foren sind für die Mehrheit der Menschen so wenig zugänglich wie einst die Salons der Aristokratie. Sie werden Deinen für mich so wertvollen Artikel über Naomi Wolf kaum finden. Wir sind die Info-Aristokraten. Die Infoschere öffnet sich immer weiter: hier die Heavyuser, technisch top ausgerüstet, das Know How intus, vielleicht sogar beruflich (unter prekären Verhältnissen?) im Internet unterwegs, da die Miseryuser, oft ebenso gut gerüstet, aber nur Grundfunktionen nutzend und den Infofusel in sich hinein kippend.
Schon wieder spitze ich zu.Ja, es braucht Medienkompetenz. Nur sind wir immer wieder auf’s 1×1 der Medien zurückgeworfen. Feedreader? Gut sortiertes Netzwerk? Bookmarks verwalten? Voll einverstanden. Aber: was passiert beim Daumen drücken? Was sind Persönlichkeitsrechte, wie beurteilen wir heute ethisch-moralische Aspekte, Kommerzialisierung/Monetarisierung… allein derlei Themen fordern voll, wollen wir technische Entwicklungen verstehen und mit ihnen Schritt halten. Die Menschen galoppieren den Veränderungen laufend hinter her. Der Abstand wird immer grösser (und wir immer antiquierter, Günther Anders?).
Ich arbeite in einem hoch technologisierten Umfeld und erfahre immer aufs Neue: Wir installieren neue Arbeitsinseln und schaffen es kaum, den Kolleginnen und Kollegen den Umgang mit neuen Workflows zu vermitteln. Wie sich diese dann auf die produzierte Ware – Fernsehbeiträge – auswirken, verstehen wir oft erst, wenn bereits die nächste oder übernächste Generation an Maschinen da steht und wir wieder Codecs und Konventionen büffeln. Die Innovationen geben uns mittlerweile vor, worüber wir nachdenken. Oder – vor allem – worüber nicht. Das empfinde ich als dramatisch! Und wenn ich erfahre, dass bereits 40-jährige dem Innovationsrhythmus kaum mehr folgen können… Ich bin abgeschweift… 🙂
Und ob uns heutige Mediensysteme viele Chancen bieten. Diese aber nutzen zu können, verlangt ausgeprägtes technisches Verständnis, Organisationstalent, ausgiebige Recherchen und vor allem sehr viel Zeit. Einiges davon fehlt mir offensichtlich. Ich schaffe es nicht, nebst Erwerbsarbeit, Familienleben, Betreuungs- und Pflegeaufgaben, Haushalt und anderen Interessen genügend Kapazitäten für die Informationsbeschaffung freizuschaufeln. Als Prosumer widme ich dem Netz täglich rund 4 Stunden (im Wochenschnitt). Das ist ein Halbtagesjob. OK, das Schwergewicht liegt beim Produzenten, die Grenze zum Konsum ist dabei stets durchlässig. Selber Schuld, dass ich so viel Zeit für’s Basteln verwende, kannst Du entgegnen. Hast natürlich recht.
Letztlich bleibe ich aber für meine Tagesration INFO immer noch auf Zeitungsverlage angewiesen, sei das nun Print oder Online. Oder gebührenfinanzierte Sender. Auf die verlasse ich mich (am ehesten).
Wenn 60 Prozent der Bevölkerung die Tagesschau guckt und 30% das Rendezvous am Mittag im Radio hört, dann sind schätzungsweise dreiviertel der Menschen ordentlich informiert. Und zwar mit dem, was sie anginge: Parlamentsentscheide, Wirtschaftsfragen, politische Initiativen etc. Sprödes Zeug – aber nun mal wichtig, wenn wir mit entscheiden wollen. Das Medienverhalten unserer Eltern. Schmunzelst Du? Aber selbst bildungsferne Eltern wussten innerhalb kürzester Zeit einigermassen Bescheid, was sich im Land und auf der Welt abspielt. Es gab nur diesen spröden Mix. Dem sie sich natürlich auch hätten entziehen können. Taten sie aber nicht, weil es kaum Alternativen gab…
Heute verkaufen Mainstream-Medien vor allem Geschichten. Das wird dir an jedem Journi-Workshop rein gespitzt! Logisch: „Fakten sind Dreck“ (und lediglich Rohstoff) sagt Constantin Seibt. Nur gute Geschichten binden Aufmerksamkeit. Das ist heute die Währung. Schau dir die Weltwoche an: da muss selbst der dünnste Faktenfaden genügen, um die endlose Geschichte weiterzuspinnen. Paradebeispiel! Bald sind Fakten ganz aus den Geschichten verschwunden. Gagas Tanga, der würgende Nachbar, ein Bauer knackt den Jackpot… Nippelgate hat Watergate ersetzt. Das sind die geilen Stories. Das sind heute die Verhältnisse – in brutalem Schwarz-Weiss, ich geb’s zu. In der Tendenz aber…!?
Ja, wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Ist auch enorm spannend! Und voller Chancen. Es würde mich jedoch wundern, käme das ganze qualitativ gute Informationsangebot tatsächlich den Massen zu gute. Die Instrumente wären ja da, auch die Inhalte. So viel wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Das Netz ist das, was du draus machst. Ich fürchte, die wenigstens machen was draus…
Danke für Deinen Kommentar. Du lässt mir keine Ruhe. Und das ist sehr gut so. 🙂
September 25, 2013 at 10:57
Danke Dir für den pointierten Nachsatz. Ich glaube nun selbst, vielleicht auf die „falsche“ Frage geantwortet zu haben, wenn ich in Richtung Medienkompetenz und Zugang zu Informationen unterwegs war. Dennoch ist es mir wichtig, die Verelendung, die Du auf dem informativen Sektor beschreibst, in eine andere als von Dir beschriebene Relation zu setzen. In eine historische. (Jetzt kommt also die „Früher war“-Keule) Die Gesellschaften dieser Erde, und auch längst nicht alle, sind erst seit sehr kurzer Zeit auf dem Weg in eine Art „informationelle Selbstbestimmung“. Wir brauchen nicht gleich zurück ins Mittelalter zu gehen, um hohe Zahlen von Analphabeten zu finden, die weder die Möglichkeit einer ausreichenden Schulbildung, noch das Wahlrecht (nur als Beispiel) hatten. Seit wann denken die Menschen, dass Bildung und Information Güter sind, die jedem Menschen zur Verfügung stehen sollten? Und verankern dies rechtlich? Doch erst seit kurzem. Und bis heute schränken wir den Zugang selbst in Deutschland ein. 3-Wege-Schulsystem, keine Lehrmittelfreiheit, kein kostenloses Mittagessen, keine flächendeckenden Ganztagsschulen, mal ganz zu schweigen von den Dingen, die leidenschaftlichwidersynnig so von der „Inklusion“ zu berichten weiß. (Über dieses Thema gibt es demnächst mal einen Blogpost von mir)
Das heißt, auch wenn wir uns heute auf die Fahnen schreiben, wir seien bildungstechnisch so gut drauf wie nie, unterdrückt unser System Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Die große Neuerung des Internet besteht in der grundsätzlichen Möglichkeit, auch denjenigen Stimme und Zugang zu Informationen zu geben, die durch unser System hindurchfallen.
Die Popkultur, die sich auf der anderen Seite etabliert, und die Du so schön mit „Nippelgate hat Watergate ersetzt“ umschreibst, gibt es eigentlich schon immer. Seit zwei Jahrzehnten schwappt sie ins Internet. Ein Massenmedium tradiert und festigt Massengeschmack, und viele scheinen die Hauptfunktion des Internet im wiederholten Teilen von Katzenbildern zu sehen. Ich musste das erst akzeptieren lernen, ich fand diesesn Gebrauch „falsch“, „unsinnig“, und habe mal etwas sehr Schönes dazu gelesen, das ich leider nicht mehr wiederfinde. Die Botschaft war in etwa so: „Stell Dir vor, Du hast das wirkungsvollste und mächtigste Instrument der Welt in der Hand – und die Menschen tun nichts anderes damit, als sich über Belanglosigkeiten auszutauschen.“
Vielleicht müssen wir festhalten, dass die grundsätzliche Möglichkeit zur informationellen Selbstbestimmung nicht automatisch zu einer Informationspflicht wird, auch wenn Menschen wie wir das evtl. so empfinden. (Also, zumindest ich denke das oft. „Nun biste privilegiert, nun haste WLAN und Hochgeschwindigkeitsrechner, jetzt MACH AUCH WAS DAMIT!“) Partizipation und Selbstbeschaffung von Informationen ist anstrengend, und auch nach 4 Stunden Netz am Tag fühlt sich kaum einer wirklich gut informiert. Aber sitzen wir nicht einem Trugschluss auf, wenn wir sagen, dass wir es durch die etablierten Medien vorher waren? Womit vergleichen wir? Und was sind überhaupt „Fakten“? Ist nicht der objektivierbare Fakt selbst ein ziemlich eklatanter Trugschluss? Hier verweise ich ja immer gerne auf das, was Moritz auf http://www.laute-irrt.de so schreibt:-)
Also, so im Ganzen: Infokratie: Ja, Überschwemmung der neuen Medien mit Trashkultur: Ja, Schwierigkeiten in der Selbstorganisation/Selbstbeschaffung, hinterherhinkende Medienkompetenz: Ja. ABER! (Das war klar, oder?) Wir, das sind unglaubliche 2,1 Milliarden Menschen auf dem Planeten, haben historisch gesehen zum ersten Mal eine tatsächliche Wahl über unsere Informationsbeschaffung und unser Medienverhalten – die Mehrheit wird sich weiterhin für BigBrother entscheiden, und ganz bewusst gegen Deinen, meinen und viele andere gute Artikel im Netz und sonstwo. Aber auch, weil es sie schlicht nicht interessiert. Einer Minderheit werden immer weiter informative Inhalte auch in anderer Form dargebracht werden (Medienverhalten unserer Eltern, hihi. Aber die waren abhängig. Sie konnten nicht die genannten Zahlen danach einfach mal durchs Netz jagen oder die Quellen verifizieren). Und dazwischen formt sich wohl die Info-Aristokratie. Wenn es eine ist, die sich dabei für alle Menschen einsetzt, ist das ok für mich.
#FlammendesPlädoyeraus 😉
Ein Link zu einem tollen TED-Talk: http://www.youtube.com/watch?v=CEN4XNth61o. Schon beim ersten Beispiel merkt man, worauf er hinauswill. Spannend (und passend) wird es dann ab Minute 12. Falls Du ihn schon kanntest, sry.
September 25, 2013 at 13:13
Du erwähnst im Zitat von A. Honneth die Digital Divide. Diese setzt m.E. sehr viel tiefer / früher an als die neuen Medien. Informationen sind für Menschen nur dann etwas wert, wenn er sie an etwas andocken kann. Wenn er sie, so subjektiv das auch immer sein mag, bewerten und priorisieren kann. Dazu braucht er VOR allen diesen Dingen wie technische und organisatorische Medienkompetenz vor allem eines: Bildung.
In dem Maße wie die Digitalisierung von Bildungssystem und Freizeit in unserer Gesellschaft zunimmt, nehmen nicht nur unsere sozialen Fähigkeiten ab sondern auch die Fähigkeit zum Wissenserwerb und zum nachhaltigen Umgang mit Information. Gut nachzulesen in Manfred Spitzer: „Digitale Demenz“.
Das Problem, wann es genug ist, ob ich den vorletzten Blogeintrag von XY auf noch nachlesen sollte und wie „uninformiert“ ich bin, wenn ich das Erdbeben in Pakistan verpasst habe, ist zweitrangig. Beziehungsweise im Elfenbeinturm diskutiert. Unter Info-Aristokraten, sozusagen.
September 26, 2013 at 11:35
Vielen Dank für Eure Beiträge. Ich bin froh, diskutiert Ihr hier meine Auslassungen und Ungenauigkeiten. Ich war ungenau, um möglichst scharf zeichnen zu können. Auch so ein Widerspruch… CoMa_spinnt hat sehr passend getwittert: der Goldgräber sucht nach dem richtigen Sieb für seine Arbeit. Davor bin ich nicht gefeit. Oder ich streue eben absichtsvoll die Fakten, die die Storyline betonieren. Während ich genau das kritisiere… 😉
Zwei Aspekte sind mir wichtig: Beim Formulieren des Textes hatte ich die
gutealte Zeit unserer Eltern im Kopf, die 1960-er/70-er, als ich klein war. Mittags hörten wir Radio, abends schauten wir Tagesschau, auch mal TV-Diskussionen und dann wurde im trauten Kreis debattiert. Wir konnten streiten, uns positioneren, abgrenzen, andocken . Mit allen Nuancen… bis hin zu umfallenden Stühlen und abgerissenen Hemdknöpfen. Ich dachte nicht an die Zeit der Propagandamaschinen, an von irgendwelchen Repressionsapparaten gelenkte oder verknappte Information. Auch nicht an den Alpöhi, der seine News durch’s Chessi ins Tal und die gegenüberliegende Alp ruft oder die zahllosen, von jeglicher ausformulierter Aufklärung isolierten Analphabeten, die bis tief ins letzte Jahrhundert die Fabriken füllten. Es ist der einigermassen überschaubare Infoapparat mit einigen grossen Tageszeitungen (Tagi eher links, NZZ liberal/FDP, Blick mal so mal so), den Lokalzeitungen (eher konservativ), Wochen- und Monatsblättern und den unabhängigen (und von freien Instanzen kontrollierten) öffentlich-rechtlichen Sendern, die ein populäres und ansprechend kluges Programm produzierten. Ein gefühlter Idealzustand, ich geb’s zu. Seit die Menschen nicht mehr verängstigt vor den Volksempfänger sitzen, um den Frontverlauf der Feuerwalzen zu verfolgen, stimmt wohl auch das im Foto oben abgebildete Setting nicht mehr. Dieses von mir idealierte System wurde seit der Liberaliserung enorm erweitert und mit dem Internet fragmentiert in unzählige Komponenten. Das ist einerseits wertvoll, kleine, potente Zellen sind entstanden, andererseits ist die Streuung überwältigend geworden. Wir müssen uns auf (uns unerschliessbare) Such-Algorithmen verlassen. War unser Urteilsvermögen so schon gefordert – nun ertrinken die Digitalcode-Analphabeten allmählich in Datenfluten:„Wir leben im frühen 21. Jahrhundert, und das heisst, vor allem Nichtpersonen werden diese Worte lesen – Automaten oder dumpfe Massen von Leuten, die nicht mehr als Individuen agieren. Man wird die Worte in atomisierte Suchmaschinen-Stichwörter zerlegen, irgendwo innerhalb industrieller Cloud-Computing-Zentren, die in entlegenen Weltgegenden und oft an geheimgehaltenen Orten liegen. Man wird sie millionenfach von Algorithmen kopieren lassen, die dazu dienen sollen, Werbung an Menschen irgendwo in der Welt zu schicken, die zufällig mit irgendeinem Fragment auf meine Aussagen reagiert haben. Schwärme schneller und nachlässiger Leser werden sie scannen, falsch interpretieren und neu zusammensetzen zu Wikis und automatisch aggregierten, kabellos verbreiteten Nachrichtenströmen. Die Reaktionen werden immer wieder zu hirnlosen Ketten anonymer Beschimpfungen und unausgegorenen Kontroversen entarten.“ (Jaron Lanier im Vorwort zu “Gadget”)
Ignoranz? Kulturpessimismus? Immerhin äussert diese Sätze einer mit direktem Draht zum Silicon Valley und der seit über 20 Jahren an Software-Design und -Konzepten arbeitet. Er stellt sich als Kulturkritiker in die Reihe mit Spitzer, Schirrmacher, Bolz etc.
Allerdings habe ich verschwiegen, dass auch in meinem Lieblingssytem viele Menschen lieber in den Sternen, im Weinglas oder in funkelnden Augen – wo auch immer – gelesen haben. DIE Informationspflicht gibt es (zum Glück?) nicht. Die 2.1 Milliarden Privilegierter mit WLAN, neuesten Smartphones (im Halbjahresrhythmus) und assortierten Netzwerken werden sich mit ihren Gadgets vor allem köstlich unterhalten. Dass sich da auch eine Elite herausschält, die sich für alle Menschen einsetzt, habe ich noch nicht feststellen können. Vielleicht ist sie eben noch nicht bis zu mir durchgedrungen. Noch so gern würde ich mich der anschliessen und meinen Teil – ehrenamtlich – leisten.
Mein Sohn könnte auch mal zur Elite gehören. Er ist 16, lebenslustig und intelligenter Gymnasiast. Er sagt, er nutze rund 1/20 seiner im Netz verbrachten Zeit für Bildung. 19/20 investiert er in Unterhaltung und P2P-Kommunikation. Womit wir beim zweiten Aspekt sind:
Das ist ja ganz neu, dass der Inhalt dieser gigantischen Info-Kanäle nicht mehr nur in einer Richtung fliesst, sondern in beide, ja in alle möglichen Richtungen. Dialog is Queen. Fakten rasch im Netz gegenchecken, Gegenstimmen einholen, kommentieren, debattieren… Nullkommaplötzlich. Im Liegen. Auch was hier passiert, nach meinem Emo-Artikel… das ist schon faszinierend! Aber eben. Ich empfinde mich (und uns) als privilegiert. Wenn wir die Porno-Daten vom Netz abziehen (da schrumpft das Ding bereits um 50 %), dann bleibt vom Rest ganz viel Big Brother, strengste Eltern der Welt und Soundteppich. Und natürlich Flirts, Dates und Tratsch. Die Teenies okkupieren nicht mehr das Haustelefon während Stunden. Sie kommunizieren im Bus, beim Zähneputzen und beim Vokabeln büffeln. Und die Eltern auch, die Kleineren ebenso. Klatsch und Palaver gehören zu uns wie Kant und Postman. Die ständige Verfügbarkeit einer Klatschtante oder eines Tratschonkels nimmt aber immer mehr in Anspruch, zuungunsten von (sagen wir) Bildung und Aufklärung. So abgedroschen das klingt: „Wir amüsieren uns zu Tode.“
Nochmal Janier (weil ich den grad am Lesen bin und oft übereinstimme): „Die Online-Kultur wird von trivialen Mashups jener Kultur beherrscht, die vor dem Aufkommen der Mashups bestand, und von Fangemeinden, die nur noch auf die schrumpfenden Aussenposten zentralisierter Massenmedien reagieren. Es ist eine Kultur, die nicht mehr agiert, sondern nur noch reagiert.“ Und wenn wir nur noch reagieren… Auweia.
Übrigens ist soeben das neue Jahrbuch zur “Qualtiät der Medien” erschienen: http://www.persoenlich.com/news/medien/f-g-die-qualit-t-der-medien-schrumpft-weiter-309811
Im herausgebenden Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft könnte ich sofort als Chorstimme mitträllern 😉
September 26, 2013 at 18:30
Googelte „Digital Divide“. Ein sehr interessanter Punkt! Und die theoretische Untermauerung des Medienverhaltens, wie wir es beobachten. Du führst das, was ich mit Medienkompetenz zu fassen versucht habe, allgemeiner (und korrekter, wenn ich das jetzt so feststellen darf) zurück auf Bildung.
Auch den zweiten Punkt finde ich extrem wichtig. Was nützt eigentlich unsere Diskussion denjenigen, um die es geht? Mich persönlich bringt es momentan sehr viel weiter, es erspart mir quasi ein Semester in Medienkritik und fordert mich zum intensiven Nachdenken – und was habe ich heute nachgedacht über Eure Argumente!
Ein Beispiel zu diesem Punkt aus meiner Disziplin: Alle 10-15 Jahre kommen Literaturwissenschaftler zu dem Schluss, dass ihnen der „Gegenstand abhanden kommt“. Das ist zum einen lustig, weil es turnusmäßig passiert. (Ich fahre im Oktober auf eine dreitägige Konferenz, sie trägt den Titel. „Zukünfte der Literaturwissenschaften“. Ich freu mich darauf! Die letzte derartige Diskussionsrunde ist 10 Jahre her:-)) Zum anderen ist es witzig, weil außer den Literaturwissenschaftlern wohl keinem vernünftigen Menschen der Welt einfallen würde, zu sagen, der Gegenstand irgeneiner Wissenschaft käme abhanden, es sei denn, man muss den Tod des jeweiligen Gegenstandes proklamieren. Also, im Sinne von: Wir forschen über das Paarungsverhalten der Schwarzen Witwe. Oh Mist, die Schwarze Witwe ist ausgestorben. Und Videos gibt es auch keine. Nicht mal Literatur, alles verbrannt. 😦 Ein Extremfall!
Die Wissenschaft dreht sich, höchst unbefriedigend und noch unproduktiver, um sich selbst. Oder, wie Du es gefasst hast: „Das wird im Elfenbeinturm diskutiert“. Du wirst im Übrigen bald von mir zitiert werden:-)
Dennoch hat natürlich eine solche Diskussion eine Rechtfertigung, siehe oben. Deswegen geht es, nicht nur for the lulz, sondern auch zu meiner persönlichen Fortbildung, unten weiter:-)
September 26, 2013 at 12:47
Da ich deinem jüngsten Kommentar inhaltlich weitgehend zustimme, möchte ich nur den einen zitierten Satz / Aspekt heraus greifen, dem ich nicht zustimme. Nämlich dem zitierten Satz von Janier: „Es ist eine Kultur, die nicht mehr agiert, sondern nur noch reagiert.“
Ohne kulturgeschichtlich besonders bewandert zu sein, würde ich schlicht behaupten, dass sich alle Kulturen in genau darin gleichen: Jede Kultur lebt grundsätzlich in Anpassung daran, was sie auf und in der Welt vorfindet. Das ist ihr Ausgangspunkt, den sie nicht ignorieren kann. Es gibt Wenige, die zu besonderen Hütern des Regelwerks bzw. der Norm gekürt werden; der große Rest tradiert und interpretiert dieses Regelwerk und füllt es mit Leben. Und es gibt noch Wenigere, die sich aus welchen Motiven auch immer für eine Veränderung oder Verbesserung des Regelwerkes einsetzen. Ob sie gegen die Hüter aktiv vorgehen oder direkt die „breite Masse“ zu überzeugen versuchen, sei zunächst dahingestellt.
Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass unsere Kultur (welche eigentlich?) heute anders funktioniert.
September 26, 2013 at 14:56
Lanier kritisiert die Tendenz, sich lediglich auf Grossplattformen in vorgefertigten Mustern zu bewegen, hier ein Like dort ein copy/paste… „Die neuen Designs, die heute im Web 2.0 kurz vor dem Lock-in stehen, verlangen von den Menschen, ihre Selbstdefinition zurückzuschrauben.“ Und er schlägt dann vor, einen Blog-Beitrag zu verfassen, über den man wochenlang nachgedacht hat, Websites zu schaffen, die mehr über die Persönlichkeit aussagen, als die Schablonen der grossen Netzwerke ermöglichen oder ein Video zu posten, an dem man 100 Mal länger arbeitet, als die Spielzeit dauert. Also, gebt Euch mehr Mühe! 😉
Gerade die Mashups, die Lanier nur naserümpfend wahrnehmen mag, hergestellt mit Musikprogrammen, die auf dem höchst unvollständigen/einschränkenden MIDI-Protokoll basieren, sind meines Erachtens Produkte oder Werkzeuge, die gelegentlich sehr viel Kreativität verraten. Mein Sohn
(nochmal)z.B. hat schon mit 15 Musik gemixt und in Clubs aufgelegt, studiert mit Freunden die Musikauswahl und werkelt an Programmen. Davon träumte ich, als ich doppelt so alt war… Auch das ist mit Leben gefüllte Welt und nicht nur Reaktion. Doch mit jeder Anwendung zurrten wir diesen Lock-in (den Punkt, an dem eine Software, ein System nicht mehr zu ändern ist) etwas fester. „Widerstehen Sie den angenehmen Stimmungen , die sie auslösen! WEnn Sie ein aus Software bestehendes Medium lieben, laufen Sie Gefahr, schon bald in den wenig durchdachten Ideen anderer Menschen gefangen zu sein..“meint Lanier…September 26, 2013 at 18:52
Das ist ja quasi mein Punkt! Das Netz ist eben das, was Du draus machst! 😉
Inhaltlich teile ich die letzten Punkte ebenfalls beinahe vollständig. Es wird ja auch ganz ohne theoretisches Untermauern darüber diskutiert, nehmen wir nur den Aufruf von Spreeblick zur Rückeroberung des Netzes oder die Iron Blogger, die sich über den Qualitäts-Content unterhalten … „Ihr müsst Euch mehr Mühe geben“ würde vermutliche jedeR von ihnen unterschreiben. Was letztlich dann im Netz produziert, reproduziert, reflektiert oder konsumiert wird, ist aber (und hier kommen wir zu meinem Part, der nicht mehr gnadenlos affirmiert) den Nutzenden selbst überlassen. Ich habe gerne und aufmerksam die Beiträge zur Medienlüge gelesen, und da beschreibst Du (und ars libertatis entgegnet) einen anderen Punkt, der hier latent mit hineinspielt, und bei dem wir wohl nicht auf einen Nenner kommen werden. Es ist der Punkt der Mündigkeit. Zwar (ich bin bei Kant, so als fröhliche Fortsetzung unseres Namen-Droppens;-)) halte ich Information, so sie verfügbar ist, für mich persönlich schon als so eine Art Pflicht – ich will wissen, in was für einer Welt ich lebe, ich will andere Meinungen hören, ich will Themen recherchieren, die nicht in meinen Mikrokosmos passen – ich muss aber den Menschen um mich herum weiterhin eine Mündigkeit zugestehen, auch wenn sie dies nicht tun. Meine klugen, aber politisch uninteressierten Nachbarn? Genauso mündig wie ich. Diejenigen, die CDU wählen und BigBrother schauen? Aua, aber genauso mündig wie ich:-) Der Nachsatz von ars libertatis, ob sich etwas an dieser Art der Mündigkeit ändern würde, wenn der Staat bestimmte Dinge gratis bereit stellte (eben nicht die Gratiszeitungen, die bessere Werbeplattformen sind, sondern Kulturgüter), setzt zum Einen Einigkeit in puncto Kulturgut voraus – hier haben wir ein Problem, es nennt sich die „gut ist nur das, was bereits lange tot ist“ -Auffassung unserer Geisteswissenschaften – zum Anderen auch die Bereitschaft der Menschen, die einer bestimmten „Vorstellung“ nach unmündig sind, sich durch Lesen desselben mündig zu machen. Wertekategorien. Und, seien wir ehrlich: Die Info-Aristokratie, oder auch „Bildungs-Elite“ (ich mag das Wort überhaupt nicht) sollte sich lieber nicht so weit vorwagen, die eigenen Vorstellungen jemandem vorzuschreiben. Wer würde denn in einer Art Wissensdemokratie den Kürzeren ziehen? 😉
Das Ganze führt zu einem weiteren Komplex: Was soll ein Staat leisten, wo muss er sich heraushalten? Ars libertatis schreibt: Innovationen geschehen heute im Internet. Übertragen wir es auf die Entwicklung im WWW. Was darf, was kann, was muss? Und wer bestimmt es, wenn doch die wichtigste Neuerung dieses Mediums sein basisdemokratischer Charakter ist?
Ich habe wirr geredet. Ich hoffe, Ihr könnt das abstrahieren;-)
September 26, 2013 at 19:42
@junaimnetz: Der Staat kann meinetwegen alle gemeinfreien Werke zur Verfügung stellen. Aber das sind halt sehr viele, so dass es für die Bürger wieder unübersichtlich wird. Und die meisten sind nicht einmal digitalisiert. Die literarischen Klassiker sind halt schon gut digitalisiert und relativ wenige. Wenn das Angebot also beschränkt sein soll, dann wären die Klassiker wohl jene Werke, auf die sich die meisten Leute einigen können. Auf Goethe kann man sich leichter einigen als auf Mo Yan.
Wie angedeutet lautet meine Meinung, dass der Staat nur seine sowieso schon kreierten Informationen veröffentlichen und das Internet sonst nicht regulieren sollte (von der Verbrechensbekämpfung mal abgesehen). Er sollte also nicht spezifisch fürs Internet Content kreieren oder Wegweiser oder Labels im Internet anbringen. Für den Rest bedeutet das: Alles kann, nichts muss. Und obwohl niemand muss, wird doch sehr viel produziert. Mehr und für viel diversere Bedürfnisse und Ansprüche als im traditionellen Rundfunk- und Zeitungsmarkt.
September 30, 2013 at 19:19
Ich habe eure Kommentare und Blogposts aufmerksam gelesen. Dabei sind mir drei Begriffe aufgefallen, über die ich nochmal nachgedacht hab:
– Mündigkeit
– Ausgewogenheit
– Staat
Mündigkeit
Ich habe das Beispiel der Süssigkeiten und Fast Food verzehrenden Kinder benutzt, die von ihren Eltern zu gesünderem Essen angehalten werden. Sie tun dies zum Vorteil der Kinder unter der Annahme (bereits eine Varaible!), diese wären unfähig, autonom und vernünftig zu handeln. Nun frage ich: ist das ein Prozess, der irgendwann zu Ende wäre? Diese – meinetwegen – Erziehung zur Mündigkeit? Mündigkeit kann abhanden kommen (Alzheimer, psychische Erkrankungen, Unfälle etc.) und ist darüber hinaus meines Erachtens nicht naturgegeben wie Geschlechtsreife oder Haarausfall. Sondern sie muss ständig erarbeitet werden.
Erwachsene (selbst gebildete) können doch genauso unmündig sein wie ein kleines Kind… Wir müssen uns nicht einmal Regime vorstellen, die ihrer Bevölkerung einzig „sowieso schon kreierte Informationen“ zukommen lassen. Es genügt z.B. an Werbung zu denken, die permanent bemüht ist, unsere Meinungsbildung zu beeinflussen und die uns beispielsweise zu Unvernunft überreden will. Warum ärgert sich niemand über die geballten Ladungen dieser Entmündigungs-Industrie? Adorno (der auch noch ;-)) würde behaupten, Unabhängigkeit sei aufgrund der ineinander greifenden Verflechtungen unseres Gesellschaftssystems unmöglich und dass die Menschen „innerhalb dieser heteronomen, dieser ihr in ihrem eigenen Bewusstsein entrückten Gestalt alles schlucken und akzeptieren“ würden.
Jeder Mensch hat die Freiheit, sich zu Tode zu saufen, essen, rauchen oder sich bis zur Orientierungslosigkeit und Verführbarkeit zu desorientieren. Nur würde ich diese Freiheit nicht unter dem Vorwand der Mündigkeit einfordern. Deshalb brachte ich das simple Beispiel der Ernährung, weil ich meine, damit sehr schön den Etikettenschwindel darstellen zu können. Ich möchte die besten Bedingungen für möglichst viele Menschen schaffen, um die Mündigkeit respektive eine unabhängige und eigenständige Meinungsbildung (woraus erst Mündigkeit erwachsen kann) zu ermöglichen. Die Menschen sollen wählen können zwischen den Produkten medialer Versteppung, den Inhalten des undurchschaubaren, unstrukturierten Netz und den Angeboten der teureren, qualitativ wertigeren Informationen alter Medien. Diese Wahlfreiheit ist meines Erachtens aufgrund der Umwälzungen der Mediensysteme in Gefahr – und damit sind es auch die Chancen, sich Mündigkeit zu bewahren. Überhand nimmt die Mystifizierung selbstreferentieller Systeme: http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/qualitaetsjournalismus-unter-druck-1.10994820
Ausgewogenheit
Die Medien berichteten nicht ausgewogen genug….
Medien berichten über relevante Ereignisse. Der Zürcher Oberländer kann etwas als relevant qualifizieren und darüber berichten, und der Blick würde dem keine Zeile widmen – und umgekehrt usw. usw. Nicht nur für publizistische Erzeugnisse gelten unterschiedliche Relevanz-Massstäbe. Dem Hornussen-Liebhaber gilt wahrscheinlich der Wettkampf vom vergangenen Wochenende in Boll/Sinneringen mehr, als dem Fussballfan das Champions-League Finale. Das Hornussenfest in Boll/Sinneringen dürfte für das Zürcher Tages-Anzeiger Publikum irrelevant sein. Andrerseits werden sich zahlreiche Sportbegeisterte (und nicht nur die) im Berner Mittelland für das Ergebnis des Champions-League Spiels interessieren.
Berichtet eine Zeitung (oder ein anderes Medium) von Bundesratswahlen und schreibt, der Kandidat einer Bundesrats-Partei sei nicht gewählt worden, deren Strategie sei falsch gewesen, dann ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt. Es ist anzunehmen, dass die Partei ihren Bundesrat gewählt haben wollte. Da das nicht geschehen ist, war die Strategie tatsächlich falsch oder zumindest nicht erfolgreich. Zu schreiben, sie sei richtig oder erfolgreich gewesen, würde bedeuten, die Partei wollte ihren Kandidaten NICHT gewählt sehen… oder dann wäre die Nachricht falsch. Eine (politische) Partei kann nicht verlangen, dass über etwas falsch berichtet wird, nur um Ausgewogenheit herzustellen. Es wäre auch falsch, würde plötzlich verlautbart 1+1=3. Da kann eine Mathematiker-Clique das noch so sehr behaupten und auf ausgewogener Berichterstattung beharren: Was überprüfbar und objektiv falsch ist, muss auch so dargestellt werden. Ich habe den Eindruck, es gäbe Parteien, die reden von Ausgewogenheit, meinen aber Gewogenheit.
Staat
Der Begriff ist mittlerweile im Volksmund verankert wie Tsunami, schizophren oder classe politique. Entweder werden diese Begriffe aus Unwissen falsch verwendet oder um mit einigem Kalkül eine gewisse Wirkung zu erzielen. Der Begriff Staat ist mittlerweile negativ besetzt, wird verknüpft mit Freiheitsvorstellungen (oder eben Unfreiheit = Staat), Mündigkeit (oder Bevormundung = Staat). Ist vom Staat die Rede, so ist man schon fast versucht, an totalitäre Unterdrückungsapparate zu denken, ja sogar von Faschismus ist die Rede.
Der Irrtum hier: Staatsfernsehen. Für mich eine leere Formel wie „geiz ist geil“, „Schweizer wählen SVP“ oder „mini Schwiiz – miis Fernseh“. Hinter der Bezeichnung Staatsfernsehen verbirgt sich vor allem Absicht, weniger tatsächliche Begebenheit. Nur weil wir für einen (von gewählten Volksvertretern) in der Verfassung definierten und fest geschriebenen Auftrag regelmässig zahlen, sehe ich nicht ein, weshalb die den Auftrag erfüllende SRG als Staatssender zu bezeichnen ist. Müssten wir dieser kurzschlüssigen Logik folgend den Strassenverkehr dann nicht auch z.B. „Staatsverkehr“ nennen oder den Militärpflichtersatz Staatskriegssteuer“ etc. Warum bloss wettern die selben gegen ein Staatsfernsehen und behaupten ebenso apodiktisch, die allgemeine Wehrpflicht beschränke nicht die Wahlfreiheit der Bürger (sie sei eherne Pflicht)? Zeigt sich hier nicht vor allem eins: Gesinnung befruchtet Terminologie und Initiativen…
Da ich im Moment so gern Jaron Lanier zitiere, hier noch ein Wort von ihm zum Entmündigungsterror (wenn Ihr so wollt) der Werbeindustrie: „Wenn das Geld in Werbung fliesst statt zu Musikern, Journalisten und Künstlern, geht es der betreffenden Gesellschaft mehr um Manipulation als um Wahrheit oder Schönheit. Wenn Inhalte keinen Wert haben, werden die Menschen bald hohl und inhaltslos sein.“
Oktober 1, 2013 at 06:12
@cuirhomme:
1. a. Gewiss gibt es bei der Mündigkeit ein Spektrum und auch Erwachsene können schwere Mündigkeitsdefizite haben. Aber ich finde trotzdem, dass das Recht alle Erwachsenen als mündig betrachten sollte, die nicht stark behindert oder schwer krank sind. Sonst würde die rechtliche Mündigkeit davon abhängig gemacht, ob irgendjemand den Lebensstil eines anderen mag.
b. Ich verstehe nicht, wieso Werbung uns zur Unvernunft überreden will oder entmündigend wirkt.
c. Mündigkeit bedeutet für mich, dass man auch Entscheidungen treffen kann, die andere nicht goutieren oder die sie für unvernünftig halten.
2. a. Wenn Meinungsvielfalt zur Ausgewogenheit gehört, dann sind die grossen Medien ziemlich unausgewogen, denn sie haben alle eine recht ähnliche ideologische Schlagseite.
3. a. Den Staat mit Unfreiheit und Bevormundung zu verbinden, ist nicht grundsätzlich falsch. Es kommt halt drauf an, was man unter Freiheit und Bevormundung versteht.
3. b. Wenn der Staat etwas kontrolliert und finanziert, ist es meines Erachtens durchaus angemessen, von Staats* zu sprechen. Bei der Eisenbahn würde ich also tatsächlich von Staatsverkehr sprechen und beim Militärpflichtersatz von einer Staatskriegssteuer.
3. c. Geld, das in Musik, Journalismus und Kunst fliesst, fliesst stets auch in die Werbung. Ich sehe nicht, wie man das trennen kann und was überhaupt dein Problem mit Werbung ist.
Oktober 1, 2013 at 09:20
Ich meine ja nicht die Mündigkeit im Sinne des Rechts. Die ist ja (richtigerweise) sehr lapidar gefasst: „Die Handlungsfähigkeit besitzt, wer volljährig und urteilsfähig ist.“ Und gemäss Art. 16 ZGB: „Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.“ Die Urteilsfähigkeit unterliegt unter Umständen tatsächlich dem Ermessen von Fachleuten, Richtern etc. Glücklicherweise Persönlichkeiten, die letztlich auf demokratische Weise (Wahlen, Prüfungskommissionen etc.) ihrer Arbeit nachgehen und daher nicht – wie in totalitären Systemen – aufgrund von willkürlichen Entscheidungen amten. Es geht also nicht darum, ob ein Lebensstil gemocht wird, sondern ob diese
r/s Lebensstileine Gefahr für die Umwelt oder den Betroffenen selbst darstellt. Ein hochkomplexes Thema für sich… gerade jetzt ja wieder aktuell… aber lassen wir das für den Moment.Ich meine die Mündigkeit, die mich jenseits von rechtlichen Definitionen befähigt, autonom und vernünftig zu handeln. Dazu gehört, dass ich auch immer wieder Autonomie und Vernunft beurteilen und definieren kann. Und das kann ich nur, wenn die mir dafür hilfreiche Information zugänglich (oder eben auffindbar) bleibt.
Wie gesagt, überlasse ich das jeder/m, ob sie sich zu Tode saufen, Battlefield spielen und den Subaru tiefer legen oder die Landfrauenküche gucken und SVP wählen wollen! Und wenn ich darob traurig werde, ist das mein Problem, mit dem ich zurecht kommen muss und kann.
Viele Medien sind insofern ziemlich unausgewogen, da sie tatsächlich ein grosses Publikum erreichen wollen/müssen. Und sie gleichen sich sogar immer mehr an. Das ist unbestritten – und bedenklich. Gerade diese Tendenz hat aber mit dem verschärften Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu tun. Importanz kommt immer mehr vor Relevanz. Genau das habe ich ja ursprünglich in meinen Blogposts so kritisiert. Allerdings glaube ich nicht, dass das mit Ideologie zu tun hat, sondern mit Marktgesetzen („Give the audience what they want (not what they need)“. Hier schliesst sich also der Kreis 😉 Meines Erachtens genügt es nicht, auf die zahllosen – unbestritten enorm wertvollen – Angebote im Internet hinzuweisen. Die Verfügbarkeit der freien Information und des Mehrwerts halte ich schlicht für einen Mythos.
Was Staatsbetriebe angeht, da sind wir uns einig. Die SRG würde ich aber nicht als Staatsbetrieb bezeichnen. Die SRG setzt lediglich einen in der Bundesverfassung verankerten Auftrag um. Die Unabhängigkeit der SRG ist eben da auch festgehalten. Es ist wohl Ermessenssache, wie weit wir den Begriff Staat fassen; quasi vom Militär bis zur Baugenossenschaft…
Das Geld, das in Musik, Journalismus und Kunst fliesst, fliesst stets auch in die Werbung? Nein, das Geld fliesst in die Werbung anstatt in Musik, Journalismus und Kunst. Die Sparten mögen von Werbung profitieren (ist ja immer mehr das Brot der Verlage und Produzenten – je grösser die Aufmerksamkeit, desto reicher die Werbeeinnahmen, siehe oben Wettbewerb um Aufmerksamkeit), viel mehr aber profitiert die Werbung z.B. von Musikern, die ihre Lieder zur Verfügung stellen (gegen Entgelt), Journalisten, die ihre PR Texte schreiben und Künstlerinnen, die ihre Ausstellungen ausfüllen. Bedenklich daran finde ich, dass viele Musiker nur noch von Auftragsmusik leben können, die meisten Journis in PR abwandern und eben die Kunst mittlerweile mit Marketingstrategien um Aufmerksamkeit buhlt, von Marketing einverleibt und quasi bedeutungslos wurde: http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/kunst/Die-Provokation-als-Marketing/story/25187276 Ähnliche Tendenzen nehme ich im Journalismus war…
Mein Problem ist, dass jährlich Milliarden ausgegeben werden, um Menschen zu manipulieren – im Gegensatz zum Journalismus, der eigentlich aufklären sollte. Nur ein Teil der Werbe-Etats fliesst zurück zu den Verlegern (40 % der Werbeeinnahmen im Fernsehmarkt fliessen übrigens in die Werbefenster ausländischer Sender! Das ist für hiesige Produzenten verlorenes Geld, anders lautende Beteuerungen z.B. von Goldbach Media sind höchst unpräzis und irreführend) etc. Werbung MUSS manipulieren, sonst macht sie keinen Sinn. „Das Ziel von Werbeaktivitäten ist die Veränderung und/oder die Stabilisierung von Verhaltensweisen, Emotionen oder Gedächtnisinhalten. Um dieses zu erreichen, bietet es sich an, Erkenntnisse aus der Psychologie des Lernens auf Werbeprobleme anzuwenden.“ (aus: Werbepsychologie von Klaus Moser) Und in der Praxis: „Die von den Werbeflächen uns anlächelnden Personen sind (…) artifizielle Produkte, die als Verkörperung der durch sie in uns kalkulierten Gefühlsreaktionen fungieren.“ (aus: Das Bild zeigt das Bild selber als Abwesendes von Hans Ulrich Reck)
Werbung kurbelt Konsum an, lebhafter Konsum ist gut für die Wirtschaft. Eine gesunde Wirtschaft investiert mehr in Werbe-Etats als eine kränkelnde… Damit habe ich
eigentlichkein Problem. Mich stört lediglich, dass immer mehr Geld in Werbung/Marketing – also Manipulation – fliesst, was den aufklärenden Instanzen – von Abos oder Gebühren finanzierten – Journis (oder Musikerinnen, Künstlern, Autorinnen, Wissenschafter etc.) die Mittel entzieht.Oktober 1, 2013 at 13:27
@cuirhomme:
1. Ich möchte bloss zu bedenken geben, dass deine Beispiele nicht per se unvernünftiges Handeln darstellen müssen. Saufen, Gamen, Kiffen und Fressen können durchaus rationale Handlungen sein. Das ist halt abhängig von den Zielen, die man hat.
2. Ich würde zustimmen, dass Marktkräfte mitverantwortlich sind dafür, aber abstreiten, dass sie alleine verantwortlich sind, oder dass eine marktwirtschaftlich gestaltete Medienlandschaft zwingend zu diesem Ergebnis führen muss. Denn die Marktkräfte sind nicht unbeeinflusst von der Kultur und die Medienlandschaft wird immer noch in bedeutendem Masse von staatlichen Institutionen geprägt.
3. Dass die Unabhängigkeit in der Verfassung verankert ist, kann aber nichts daran ändern, dass die SRG vom Staat finanziert wird; staatliche Privilegien erhält; ihren Auftrag vom Staat erhält; sehr eng mit dem Staat zusammenarbeitet und dafür mit gutem Zugang zu Staatsangestellten und staatlichen Informationen belohnt wird; dass der Bundesrat Verwaltungsräte bestimmen kann, etc. Ich sehe nicht, wie man hier noch sagen kann, dass die SRG nicht einmal informell ein Staatsbetrieb ist.
4. Bei dieser Definition von Manipulation würde ich dann sagen, dass alle Medien manipulieren müssen, wenn sie ihr Ziel nicht verfehlen wollen. Der Journalismus will ja auch nichts anderes als Gedächtnisinhalte zu verändern oder zu verfestigen. Spielfilme, Romane und Lieder, die keine Emotionen auslösen, kann man kaum als gut bezeichnen. Und wenn man Medien produziert, kann man es kaum verhindern, dass die eigene Weltanschauung in das Medienerzeugnis hineinfliesst. Bei Politik- und Wirtschaftsjournalismus ist dies sogar besonders schwierig. Oft kommen sogar explizit ideologische Ziele wie etwa ‚Aufklärung‘ oder ‚auf Probleme aufmerksam‘ machen hinzu. Und Aufklärung zielt natürlich auch auf Veränderung oder Stabilisierung von Verhaltensweisen ab.
Da fällt mir auf, bei dieser Definition von Manipulation sind alle interpersonalen menschlichen Handlungen manipulativ. Denn auch wenn man die „Veränderung und/oder die Stabilisierung von Verhaltensweisen, Emotionen oder Gedächtnisinhalten“ nicht bewusst beabsichtigt, wenn man mit anderen Menschen interagiert, hat das stets Auswirkungen auf deren „Verhaltensweisen, Emotionen oder Gedächtnisinhalten“.
Die Produktewerbung ist halt bloss etwas offener darüber, dass sie für etwas wirbt als etwa Kolumnisten, Priester, Conscious Rapper oder Blogger, die halt nicht für Produkte, sondern für Ideen werben.
Oktober 2, 2013 at 13:30
Nun ja, wenn das Ziel z.B. eines jungen Aargauers ist, irgendwann einen koreanischen Game-Meister zu schlagen, dann dürfte auch exzessives Gamen für ihn durchaus vernünftig oder zumindest zielgerichtet sein. Wenn ein Knabe sich in der Gang-Hierarchie von Los Zetas nach oben killt, dann dürfte auch das zielführend, aber irgendwie für unsereins immer noch sehr unvernünftig sein. Ich finde es verwirrend, wenn Du Zuschreibungen je nach Kontext in Frage stellst? Das ist mir schon bei der Banane aufgefallen, die Du ebenfalls zum Fast Food schlägst? Es gibt doch einen Konsens darüber, was Fast Food ist. Auch wenn’s immer wieder Verschiebungen gibt…
Ich sehe weder staatliche Privilegien, noch eine enge Zusammenarbeit und auch nicht, dass die SRG mit staatlichen Informationen belohnt würde. Allenfalls sind Politikerinnen und Politiker eher erpicht, SRG Journis Interviews zu geben, weil sie dadurch eine grössere Öffentlichkeit erwarten können, als wenn sie bei Radio Munot oder so auftreten. Auch gibt es Politiker, die SRG-Leuten gegenüber sehr abgeneigt sind: „Schiiss Staatsfärnseh“ habe ich – wenn ich mich recht an den Wortlaut erinnere – von höchster Stelle vernommen.
Wir stimmen insofern überein, als die Wahl des SRG-Direktors durchaus auch politische Dimensionen hat. Den Vorzug Roger de Wecks gegenüber Filippo Leutenegger politisch auszuschlachten, halte ich jedoch für unangemessen. Keine Firma würde jemanden zum CEO bestimmen, der die Firma zuvor immer wieder angegriffen hat: http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/fernsehen/SRGDirektion-Wahl-als-Dilemma/story/14612465
Zwei von neun Verwaltungsräten sind vom Bundesrat bestimmt. Insofern staatliche Mitsprache, ja, respektive Mitsprache der Exekutive des Bundes – aber eben: der Bundesrat ist vom Parlament gewählt und das Parlament vom Volk. Meines Erachtens genügt das nicht, um von Staatsfernsehen zu sprechen.
Tatsächlich gibt es z.B. ehemalige Historiker, die als Journalisten ihre Weltanschaung in ihr publizistisches Produkt packen und das jede Woche von neuem aufbereiten. Journis, die manipulieren wollen – so finde ich – haben aber den Beruf verfehlt. Es ist richtig, dass sie ein Publikum erreichen wollen, das ihre Inhalte (kauft und) konsumiert. Stichwort Emotionalisierung ;-( Journis können ihre Weltanschauung nicht an der Garderobe abgeben. Immerhin gibt es in jedem seriösen Haus Richtlinien, die für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbindlich sind. „Wenn die Gefahr besteht, dass Interessenbindungen einen Einfluss auf unsere journalistische Arbeit haben, treten wir in den Ausstand“ heisst es z.B. nebst vielen anderen Regeln in den publizistischen Leitlinien von SRF.
Die Qualität eines publizistischen Produkts oder Kunstwerks allein nach der Emotionalität zu beurteilen, halte ich für falsch respektive zu limitiert. Ganz viel grosse Kunst würde ausgeschlossen: Konzeptkunst, neue Musik oder konstruktive Kunst etc. wären danach einfach schlecht. Gute Kunst tut eben mehr, als nur die Gefühle ansprechen. Die Werbung (und schlechte Texte oder Publizistik) beschränkt sich fast immer auf’s Regen von Gefühlen. Meist kommt es gar nicht mehr auf den Inhalt an, so lange das erwünschte Gefühl geweckt wird… Journalismus tut etwas anderes. Im (guten) Journalismus wird immer abgewogen, Meinungen und Daten verglichen und einander gegenüber gestellt (die besten Argumente von beiden Seiten!) Werbung lässt all das aus und sucht nur das eine überzeugende Argument, das eigentlich gar keines ist, sondern letztlich nur leere Behauptung.
Oktober 2, 2013 at 17:40
@cuirhomme:
1. a. Na ja, für mich ist ‚vernünftig‘ halt ein Begriff, der sehr vom Kontext abhängt. Bedeutet ‚unvernünftig‘ für dich denn, dass du die Ziele für falsch hältst? Wie entscheidest du dann, ob Ziele richtig oder falsch sind?
b. Ich meinte bloss, dass wenn man den Begriff Fast Food wortwörtlich interpretiert, dann eine Banane eher Fast Food sein müsste als ein Hamburger. Mich stört ein wenig, dass mit Fast Food sogenannt ungesundes Essen bezeichnet wird und nicht einfach schnelles Essen.
2. Sonderkonzessionen und Subventionen sind definitiv staatliche Privilegien. Und grössere und staatsfreundlichere Medienkorporationen haben einen besseren Zugang zu Staatsinformationen, da der Staat eben nicht öffentlich über admin.ch informiert, wenn er informieren will, sondern bestimmte Organisationen damit zuerst beliefert.
Zu de Weck und Leutenegger habe ich mich nicht geäussert und will es auch nicht tun.
3. a. Da die Weltanschauung beeinflusst, wie man die Welt anschaut, sehe ich nicht, wie irgendein Journalist es schaffen sollte, nicht von seiner Weltanschauung beeinflusst zu werden. Und um zu manipulieren, muss man nicht in bösartiger Absicht manipulieren wollen, man kann einfach nicht verhindern, dass man es tut.
b. Natürlich ist die Emotionalität nicht das einzige Kriterium, das habe ich auch nicht gesagt. Aber wenn man von einem Kunstwerk sagt, dass es in einem keine emotionale Regung auslöst, dann ist das meines Erachtens eine ziemlich schwere Kritik.
c. Werbung beschränkt sich fast immer aufs Regen von Gefühlen? Ich konsumiere ja nicht viel Werbung, aber manche Werbung, die ich sehe, ist vor allem informativ. Elektronikwarenbroschüren, etwa. Oder manche Newsletter.
d. Guter Journalismus stellt die besten Argumente von beiden Seiten gegenüber? Na gut, dann habe ich halt noch nie guten Journalismus erlebt. Hast du ein Beispiel für solch guten Journalismus? Ich sehe ja vorwiegend Empörungsjournalismus, wenn ich grosse Zeitungen lese.
Oktober 2, 2013 at 10:55
Ich habe so aufmerksam es mir möglich war bis hierher gelesen („schwääre Khost!“), und mir sind ähnlich wie cuirhomme ebenfalls einige Begriffe in den Sinn gekommen, die dem Themenkomplex möglicherweise neue Facetten hinzufügen können.
1. Reife
Ich vermute, dass es das ist, was ihr unter „Mündigkeit“ versteht, sofern sie nicht juristisch geregelt ist. Sie ist kein Zustand, sondern eher ein Prozess. Nicht ohne Grund gibt es dafür keine Metrik, keinen normierten psychologischen Test. Reife ist etwas vollkommen subjektives. Wir vergessen das gerne, wenn wir über jemand anderen urteilen.
2. Kulturschaffen als Selbstdarstellung
Von Kulturschaffenden höre und lese ich immer wieder, dass ihre Werke „ein Ausdruck“ für etwas seien, das sie beschäftigt hat, das sie bewegt oder zu einer Facette ihrer selbst geworden ist. Sehr platt gesagt stellen Kulturschaffende sich selbst oder eine ihrer „Rollen“ dar. Wenn ich für meine Selbstdarstellung in einem Video 100 Stunden aufwende, bleibt das Video eine Inszenierung einer Rolle. Bei Twitter, Facebook und Co. spiele ich ebenfalls eine Rolle. In einem Blogkommentar gebe ich mich wortgewandt und klug – eine Rolle. 😉
Warum ist Kultur „gut“ oder „wertvoll“ und ein Tweet nicht?
3. Manipulation
Werbung manipuliert. Dessen sollte man sich als intelligenter Verbraucher stets bewusst sein. Journalismus klärt auf, zumindest wenn es guter Journalismus ist. Aha?
Ich finde, wir sollten uns von dem Bild lösen, dass die einen „massiv Einfluss nehmen wollen“ und die anderen „nur informieren“. Wir alle nehmen Einfluss, in jedem einzelnen Moment. Wir sollten dazu stehen, dass wir manipulieren, statt einen auf harmlos zu machen. Der Mensch ist bauartbedingt ein soziales Wesen. Es ist völlig in Ordnung, wenn er manipuliert.
Die Frage ist für mich nicht so sehr, ob wir gute oder böse Absichten haben, ob wir verdeckt oder offen vorgehen, sondern ob wir für unser Tun die Verantwortung übernehmen und ggf. Konsequenzen tragen müssen. Allzu oft mussten und müssen diejenigen, deren Manipulationen am meisten Menschen in Mitleidenschaft gezogen haben, nicht dafür geradestehen. DAS ist ein Problem!
4. Horizont vs. Komplexität
Es gibt 7,5 Milliarden verschiedene Lebensentwürfe auf der Welt. Mindestens. Welcher Staat wäre da in der Lage zu entscheiden, was Kultur“gut“ ist und was nicht? Wer ist denn in diesem Zusammenhang der Staat? Es sind Menschen, die da entscheiden.
Früher(TM) lebte man in einem Dorf und reiste nicht viel. Nachrichten kamen mit fahrenden Badern oder Kaufleuten in den Ort. Es gab ein ganz natürliches Komplexitätsmanagement.
Heute müssen wir ständig unseren eigenen Horizont neu definieren. Lese ich diese Tageszeitung oder jene? Gucke ich einen Krimi, eine Doku oder eine Spielshow? Reise ich im Sommer nach Schweden, Österreich oder Tunesien? All inclusive oder Baedecker? Wo möchte ich morgen mitreden können?
Möglicherweise sollte unser gesamter Bildungs- und Erziehungsgedanke zukünftig nicht mehr sein, Menschen die richtigen Inhalte zu vermitteln, sondern sie dazu zu befähigen, ihren Horizont selbst auszuwählen und anzupassen, ihre Rolle in der Gesellschaft aktiv zu überdenken und zu gestalten, Zeit ihres Lebens persönliche Reife weiterzuentwickeln und die Verantwortung für ihr eigenes Tun und Lassen zu tragen.
Das ist jetzt aus Versehen ein Wort zum Sonntag geworden. Amen. 🙂
Oktober 4, 2013 at 12:16
Manipulieren nach Duden:
„1. Menschen bewusst und gezielt beeinflussen oder lenken
2. Informationen verfälschen oder bewusst ungenau wiedergeben…“ usw.
Gerade das soll Journalismus nicht! Aber genau das tun Journis leider immer mehr (und Produkt-Werbung sowieso – Broschüren und Newsletter gehören zur Unternehmenskommunikation oder Produktinformation – da differenziere ich – und sind durchaus informativ, stets aber auch manipulativ). Gesinnungsjournalismus breitet sich im heutigen System aus (Befund Kurt Imhof, dem ich absolut zustimme). Ich versuche niemanden zu manipulieren und ich fände das auch nicht in Ordnung. Ich will weder lenken noch verfälschen, aber – ja – überzeugen, teilhaben lassen und konfrontieren. Aus Freude an der Vermittlung, aus Neugierde, aus Lust am Formulieren. Ihr habt ja recht, Selbstdarstellung und Weltanschauung können da mit einfliessen, das hat aber nichts mit Manipulation zu tun. Das zu unterscheiden finde ich wichtig.
Um selbstkritische Auseinandersetzung geht es ja auch, wenn ich sage, ich gebe mir Mühe und arbeite 100 Stunden an einem Video. Genau das ist es, wenn in Redaktionssitzungen Texte, Beiträge etc. abgenommen werden oder nachbesprochen und von Aussenstehenden oder Gremien kritisiert werden. In seriösen Häusern gehört das zum Alltag. Dieses Regulativ geht verloren, aus Spargründen, wegen Zeitdruck – oder wegen Desinteresse…
Um Informationen zu erhalten, müssen Journis recherchieren. Je knapper die finanziellen Mittel, desto weniger Zeit bleibt dafür. Recherchieren bedeutet Nachfragen, verschiedene Quellen suchen und überprüfen, Meinungen gegenüber stellen etc. Heute werden allzu oft nur Pressemitteilungen per copy/paste als eigene journalistische Leistung verkauft. Wer seine News bei bfm.admin.ch oder ejpd.admin.ch einholt, macht einen (notgedrungen?) lausigen Job. Es geht nicht um Bevorzugung sondern um Ressourcen! Das fehlt immer mehr; den Medien und den Bloggern sowieso…
Wenn ich blogge, bin ich subjektiv, ich schreibe emotional und suche mir – ich weiss – die Informationen auch nach weltanschaulichen Aspekten zusammen und verlinke entsprechend. Ich kenne keinen Blog, der nicht so funktionieren würde. Das entspricht dem Kommentar in der äussersten Spalte der Tageszeitung oder dem Auftritt des Chef-Redakteurs am Ende der Tagesthemen (gibt’s das überhaupt noch?). Das dünkt mich ein Problem der Blogs. Um der Aufmerksamkeit willen, wird zusgepitzt, süffig formuliert und emotionalisiert. Das wird dann – wenn überhaupt – affirmativ kommentiert oder total opponiert. Ein qualifizierter Austausch, wie ich das hier momentan erlebe, finde ich eher selten und nur in ausgesuchten Foren oder Profilen. Daher sind Blogs für mich keine Alternative zu einer guten Tages- oder Wochenzeitung, sehr wohl aber bereichernde Ergänzung zu Diskussionssendungen oder Gesprächen mit Freunden und Bekannten.
In einem konfrontativen Stück gilt der journalistischen Grundsatz: Alle Seiten sind mit ihrem besten Argument vertreten. Ich muss gestehen, regelmässig nur noch NZZ zu lesen. Gelegentlich lese ich alles mögliche von Tagi, 20minuten, Blick am Abend bis Weltwoche. All diese Titel finde ich schwach bis katastrophal… Produkte unserer Zeit!
In der NZZ und im Fernsehen (ich schaue nur noch gelegentlich SRF im Internet, nach Ereignis) finde ich diesen Grundsatz immer wieder. Beispiel: die Rundschau über die von Christoph Mörgeli betreuten Dissertationen. Ein Beitrag mit derartigen Vorwürfen würde nie gesendet, ohne dass der Betroffene auf die Vorwürfe reagieren könnte. Einerlei, ob in einem Beitrag direkt oder – wie hier – in einem Interview. Im angesprochenen Fall war der Vorwurf happig, der Ton (auch des Beitrags) anklagend. Aber: Christoph Mörgeli hatte die Gelegenheit, ausführlich auf die Vorwürfe zu reagieren. Leider hat er seine Argumente erst nachträglich vorgebracht, in der Sendung gab er den von der Inquisition verfolgten Märtyrer.
Mir scheint, wir müssten jetzt auch Authentizität diskutieren. Duden: „Echtheit, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit.“ Da spielt auch der Gedanke von CoMa_spinnt hinein: ich übernehme die Verantwortung für meine Äusserungen. Und weil ich das tu, gebe ich meine Quellen bekannt in dem ich viel verlinke oder in dem ich offen lege, woher meine Informationen sind (Achtung: Quellenschutz ist u.U. übergeordnet, das muss aber klar deklariert werden!).
„Authentisch bezeichnet die objektive Echtheit eines der filmischen Abbildung zugrundeliegenden Ereignisses. Mit dem Verbürgen eines Vorfalls als authentisch wird impliziert, dass eine Sache sich so ereignet hat, ohne dass die filmische Aufnahme den Prozess beeinflusst hätte. die Authentizität liegt in der Quelle begründet“ (aus: Dokumentarfilm und Authentizität von Manfred Hattendorf). Es geht um Nachprüfbarkeit, Transparenz. Ist die nicht vorhanden, nützt mir Medienkompetenz wenig…
Wenn ich fähig bin, aufgrund von Erfahrungen und der mir zugänglichen Informationen Zusammenhänge herzustellen und daraus für mein Handeln Folgerungen schliesse, anhand derer ich sowohl mich als auch meine Umgebung schütze und achte und die auch im Einklang sind mit der sozialen/kulturellen Ordnung, in der ich lebe, so lebe ich vernünftig. Ob falsche oder richtige Ziele… das ist, meine ich, sehr dynamisch. Wer sich wegen Liebeskummer betrinkt hat ein anderes Ziel, als wer ins Flugzeug steigt und 300 Passagiere über den Atlantik pilotiert. Und beides kann/muss richtig oder gut sein oder passen.
Im übrigen nehme ich Tweets oft als sehr poetisch wahr – wenn ihr so wollt kulturell wertvoll. Mit den meisten Tweets kommunzieren wir aber miteinander und überlegen uns nicht deren künstlerischen Gehalt etc. Ich würde die Genres nicht mit Wertungen wie gut oder wertvoll gegeneinander ausspielen. Ich sage nur, dass ich im einem Medium rascher und besser informiert bin als in anderen.
Zum Thema spannende Artikel bei medienwoche: http://medienwoche.ch/2013/09/30/vergangenheit-verklaeren-gegenwart-verachten/ und http://medienwoche.ch/2013/10/01/weniger-ist-weniger/#39725 oder soeben gefunden: http://www.eurozine.com/articles/2009-12-01-passig-de.html
So. Und jetzt bin ich 2 Wochen nicht mehr online. Einfach mal abschalten… Danke für eure inspirierenden Gedanken. Vielleicht bis später…?
Oktober 5, 2013 at 14:43
@cuirhomme:
1. Vorhin hast du noch eine andere Definition von Manipulation zitiert. Ich weiss jetzt nicht, auf welche ich eingehen soll.
2. Blogs gibt es sehr viele und sehr viele verschiedene. Es gibt durchaus etliche, hinter denen viel eigene Rechercheleistung steckt. Die meisten sind halt natürlich von niederer Qualität. Aber das ist bei allen Medien so. Auch bei den Zeitungen, wie du ja selbst sagst.
3. Gut, dieser journalistische Grundsatz mag gelten, wenn es um Vorwürfe an eine Person geht. Dann können die Urheber der Vorwürfe und die betroffene Person Stellung nehmen. Bei abstrakteren Themen, etwa wenn es um Volksabstimmungen geht, kommen dann aber irgendwelche Seiten mit irgendwelchen Argumenten zum Zug. Ich habe noch keinen Medienbeitrag gesehen, bei dem wirklich alle Seiten ihre besten Argumente vorbringen können. Die Artikel zur Wehrpflichtabschaffung waren ein besonders grosses Trauerspiel.
4. Authentizität ist durchaus positiv. Web-Zeitungsartikel sind da aber relativ intransparent, da sie generell keine Quellen-Links, sondern nur Promo-Links haben.
5. Für mich bedeutet Vernunft auch, aufgrund von Erfahrungen und der zugänglichen Informationen Zusammenhänge herzustellen und daraus für das Handeln Folgerungen zu schliessen. Aber ich sehe nicht, wieso es bei der Vernunft auch um das Schützen und Achten von sich selber und der Umgebung gehen soll, resp. wieso es zwingend vernünftig sein soll, dies zu tun. Im Einklang mit der sozialen und kulturellen Ordnung zu sein, ist dann wieder etwas anderes, das dem Schützen und Achten von sich selber und seiner Umgebung sogar zuwiderlaufen kann.
6. Danke für die Links, auch wenn ich die der Medienwoche schon kenne.
7. Danke ebenfalls an alle Beteiligten. Von mir aus bis später.
Oktober 21, 2013 at 20:07
Die andere Definition von manipulieren stammt nicht von mir. Meintest Du jene von CoMa_spinnt? Ich konsultierte den Duden, um an die allgemein gebräuchliche Bedeutung – von der aus ich argumentiere – zu erinnern.
Das ist ein Aspekt, den ich an Netzdiskursen häufig als verwirrend empfinde: wir diskutieren die Bedeutung von Begriffen und können uns kaum mehr auf die ausformulierten Zusammenhänge konzentrieren, respektive weiter entwickeln. Es ist, als ob die gemeinsame Sprache verloren ginge durch unzählige Interessen-, Meinungs- und Sprachsphären. Wie sollen wir Meinungsverschiedenheiten austragen können, wenn wir schon bei der Formulierung der Meinung scheitern?
Ich kann übrigens Deine Einwände grösstenteils nachvollziehen.
Momentan beschäftige ich mich intensiv mit dem „Sinn von Öffentlichkeit“ (Bernhard Peters) und der „Öffentlichkeit der Vernunft“ (Jürgen Habermas) und freue mich, bald aus erkenntnistheoretischer und sprachphilosophischer Sicht wieder zum Thema zu schreiben.
Oktober 21, 2013 at 20:43
@cuirhomme: Nein, ich meinte das Zitat von Klaus Moser.
Dass philosophisch umstrittene / politisch relevante Begriffe (wie Markt, Atheismus, Evolution, Zwang, Feminismus, Sexismus) in unterschiedlichen Weltanschauungen unterschiedlich verwendet werden, ist doch nicht neu und in jeder Diskurssphäre zu sehen. Wenn Leute einen unterschiedlichen intellektuellen Hintergrund haben, dann müssen sie halt oft über die Bedeutung von Begriffen diskutieren. Ansonsten werden sie einfach aneinander vorbei reden. Aber beheben kann man das Problem meines Erachtens nicht, wenn man die intellektuellen Hintergründe der Menschen nicht angleichen will. Doch das würde bedingen, dass sie ähnlichere Dinge lesen und ähnlichere Ideologien vertreten als heute. Aber das wäre wiederum dem Ziel der Meinungsvielfalt abträglich.
Oktober 22, 2013 at 13:21
Klaus Moser definiert nicht Manipulation, sondern er schreibt, warum Werbung manipulieren will (um auf „auf Verhaltensweisen einzuwirken“) und skizziert im weiteren Zitat, wie „kalkulierte Gefühlsregungen“ provoziert werden. Dies erwähnte ich, da in der vorangegangenen Diskussion Journalismus, Werbung, Aufklärung und Manipulation für mein Dafürhalten nicht mehr klar genug voneinander abgegrenzt, ja gar vermengt wurden. Hier zu differenzieren scheint mir aber wichtig!
Dass Vertreter unterschiedlicher Kulturen oder intellektueller Milieus Begriffe (verhandelbare Signifikate) und Themenfelder kontrovers diskutieren ist mir klar. Unter anderem deshalb tauschen wir ja miteinander unterschiedliche Positionen aus. Um sich verständigen zu können, müssen wir aber Beliebigkeit oder Extreme zu verhindern versuchen oder sie integrieren können. Das wird schwierig, wenn wir schon bei etablierten Zuschreibungen/Wortbedeutungen (Manipulation, Vernunft, Fastfood etc.) uneins sind oder sie frei interpretieren – zumal das ursprüngliche Thema meines Beitrags, die Segmentierung grosser Öffentlichkeit(en) und deren Folgen, nicht mehr debattiert wird.
„Man kann nicht zu allem verschiedener Meinung sein, wenn man Meinungsverschiedenheit austragen will“ (Bernhard Peters), denn daraus folgt „Die Personalisierung der Gesellschaft, wie sie mit der Aufblähung des Details und seiner Miniaturisierung, also seiner Verwandlung in ein Miniaturbild der Gesellschaft, einhergeht,“ schreibt Richard Sennett (1986) und das hat „zwei Ergebnisse: die Wahrnehmungen verlieren ihre Beständigkeit, und der Wahrnehmende wird passiv.“ Verelendende Massen eben… just das Thema.
Oktober 26, 2013 at 08:49
@cuirhomme: Aber diese Begriffe haben keine klare Definition. Fastfood bedeutet manchmal Take-Away-Food und manchmal ungesundes Essen. Und bei der Manipulation nennt der Duden zwei sehr unterschiedliche Definitionen. Von daher weiss ich immer noch nicht, was du meinst, wenn du von Manipulation sprichst und davon, dass dies der Journalismus nicht tun soll, die Werbung dies aber tut.
Ansonsten stimme ich dir schon zu, aber mir ist unklar, wie dies erreicht werden kann. Zumal viele Begriffe nicht nur sachlich, sondern auch wertend sind. Manipulation etwa hat einen stark negativen und Vernunft einen stark positiven Klang. Deshalb ist fast jeder für Vernunft und gegen Manipulation. Deshalb werden Leute, die Werbung positiv sehen, abstreiten, dass Werbung manipulativ ist und die Werbegegner sie als höchst manipulativ ansehen. Hätte das Wort Werbung keinen wertenden Beiklang, könnte man sich rascher einigen, ob Werbung Manipulation ist oder nicht. Und dann könnte man in einem nächsten Schritt erst über die ethische Beurteilung von Werbung sprechen. Aber weil so viele Begriffe eine moralische und eine sachliche Bedeutung haben, wird meist über beides gleichzeitig gesprochen, was für das gegenseitige Verständnis kaum nützlich ist.
Was die Werbung nun angeht, würde ich sagen, dass sie Manipulation 1a (bewusst und gezielt beeinflussen) und 1b (bewusst und gezielt lenken) darstellt und oft 2c (Informationen auslassen) dazukommt. Wo aus der Werbung 2a (Informationen verfälschen) wird, da stellt sie meines Erachtens Betrug dar.
Journalismus ist manchmal Manipulation 1a (bewusst überzeugen wollen ist doch eine Form der bewussten und gezielten Beeinflussung?), öfter geschieht die Beeinflussung oder Lenkung wohl aber unbewusst. Auch wenn im Journalismus Informationen ungenau wiedergegeben werden (was meines Erachtens oft geschieht), würde ich meinen, dass dies meist unbewusst geschieht.
Ich würde bewusste Beeinflussung und Informationsverdrehung zwar als verwerflicher ansehen als unbewusste, die Beeinflussten werden aber genauso stark beeinflusst, ob die Beeinflusser sie nun bewusst oder unbewusst beeinflussen. Von daher sehe ich unbewusste politische Beeinflussung nicht grundsätzlich als besser als bewusste kommerzielle Beeinflussung.
Oktober 29, 2013 at 15:05
Das wurde deutlich; Du hinterfragst sehr genau 😉
Fast Food ist Essen zum schnellen Verzehr, ob vom Take Away, aus dem Tiefkühler oder der Vakuumverpackung etc. und für gewöhnlich ungesund, da er rasch nährt – ob süss oder stark fetthaltig (entgegen z.B. Tiefkühlgemüse oder Früchten). Und was Manipulation angeht, da ist die Grenzziehung gelegentlich schwierig, meist gehen aber die im Duden ausdifferenzierten Bedeutungen miteinander einher. Werbung beeinflusst gezielt, offensichtlich oft ohne Wissen des Publikums, gegen dessen Willen (ich kann mich nicht entziehen, ist ubiquitär) UND verfälscht absichtlich Informationen und das erst recht mit undurchsichtigen Kniffen. Mit Betrug hat das – meine ich – noch nichts zu tun. Ausser du befindest dich auf einer Kaffeefahrt oder in andren Graubereichen der Marktwirtschaft.
Im Journalismus haben absichtliche Verfälschung oder gezielte Einflussnahem nichts zu suchen, siehe auch: http://presserat.ch/21690.htm Um das zu verhindern gibt es nebst den Richtlinien auch Instanzen, die darüber wachen, ob Richtlinien eingehalten werden. Dem müssen sich aber nicht alle journalistischen Produkte aussetzen oder sie foutieren sich darum (z.B. den Presserat), das ist leider so… Ich lehne die absichtliche Beeinflussung ab, schon weil sie gezielt unsere Urteilskraft korrumpiert. Geschieht dies unabsichtlich, bin ich tolerant. Die Absicht scheint mir ausschlaggebend.
Überzeugen würde ich von Beeinflussen abgrenzen. Beeinflussung impliziert für mich eben das Einwirken gegen den Willen, ohne die Meinung des Anderen zu respektieren, zum Beispiel, in dem ich keine Möglichkeit für Gegenreaktion lasse oder sie ignoriere. Journalismus wird dadurch unglaubwürdig (ist er leider auch schon, da tatsächlich beeinflusst wird, diesen Journalismus meine ich aber nicht, sondern kritisiere ihn z.B. auch in meinem Blogposts, in denen ich über die Weltwoche als besonders schlagendes Beispiel berichte: http://cuirhommeblog.wordpress.com/2012/04/15/mission-weltwoche/ oder http://cuirhommeblog.wordpress.com/2012/01/19/angriff-der-info-zombies/ )
Wie ich Begriffe einsetze und welche (irreführenden) Konnotationen ich quasi mitdenke – das werde ich mir gern mal genauer ansehen, darauf achten. Gewiss forciere ich Begriffe in Überschriften, z.B. Info-Zombies oder Medienlüge, was ich ehrlich gesagt gelegentlich grenzwertig finde und mir sehr genau überlege…
Werbung gegenüber bin ich nur was ihren Informationsgehalt/-gebrauch angeht sehr kritisch und ablehnend, sehe aber auch, dass sie in heutigen Wirtschaftssystemen eine bedeutende Rolle einnimmt. Ich kann mich sogar hin und wieder für Werbung begeistern… Ausserdem gebe ich mich gelegentlich auch gern der Unvernunft hin, finde das wohltuend.
Oktober 30, 2013 at 18:44
@cuirhomme:
Na ja, auch Früchte sind schnell verzehrt und nähren rasch. Aber lassen wir das Thema Fast Food. Gesunde Ernährung ist generell ein sehr mühsames Thema.
Ich würde bestreiten, dass man sich der Werbung nicht entziehen kann (ich kann das nach meinem Gefühl ziemlich gut), und dass Werbung meist Informationen verfälscht. Ich sehe jedoch, dass für viele andere Leute ersteres schwerer sein mag und letzteres eher der Fall sein mag.
Hier ist ein fundamentaler Unterschied zwischen uns: Für mich ist die Absicht nur unter besonderen Umständen ausschlaggebend. Ob jemand absichtlich die Unwahrheit sagt oder unabsichtlich, weil er bspw. fest an die Unwahrheit glaubt, in beiden Fällen wird die Unwahrheit verbreitet. Und die Unwahrheit kann gleich grossen Schaden anrichten, ob sie die Urheber nun mit guten oder bösem willen verbreiten. In vielen Fällen kann man meiner Meinung nach auch gar nicht herausfinden, ob eine Person die Unwahrheit selber glaubt oder nicht. So wird die Unterscheidung aus ganz praktischen Gründen oft irrelevant. Zudem hasse ich es, wenn bei politischen Diskussionen anderen unterstellt wird, dass sie ‚gekauft‘ sind oder ähnliches. Als gebranntes Kind bin ich bei diesem Thema allerdings durchaus etwas voreingenommen.
Die Unterscheidung zwischen Beeinflussung und Überzeugung scheint mir sinnvoll zu sein, auch wenn ich wohl andere Begriffe wählen würde oder sie umgekehrt verwenden würde. Ich sehe aber nicht, wie man in der Praxis tun kann oder soll.
Unvernunft kann auch vernünftig sein. 😉
November 3, 2013 at 21:41
Werbung operiert ja längst nicht mehr so vordergründig plump und gaukelt einfach falsche Tatsachen à la „Ariel wäscht weisser“ vor. In dem sie von unseren individuellen Lebenszusammenhängen komplett abgekoppelte Szenarien konstruiert und in entsprechend idealisierten (dramatisierten, emotionaliserten etc.) Settings zur Schau stellt, vereinnahmt/verführt/verwirrt uns die Werbung. Die Images der Werbewelten sind dabei ganz gezielt so absurd überzeichnet, dass wir empfänglich werden für die Botschaft, die am Ende des Clips oder Bildrand der Anzeige ganz real erscheint oder in Zusammenhang mit der idealisierten Szene gesetzt wird.: „Schweizer Fleisch – alles andere ist Beilage, Der Pulsschlag einer neuen Generation, Der Morgen macht den Tag“ etc. etc. Die Unaufrichtigkeit verbirgt sich hinter schönem Schein, im weniger ärgerlichen Fall auch hinter Witz. Die Absicht ist perfekt verschleiert. Dem kannst du dich selbst allenfalls entziehen, in dem du nur noch zu Boden schaust, das Handy nie mehr einschaltest (allein schon der Swisscom-Singsang beim Aufstarten…), der Kniffe bewusst wirst, die Entscheidungsfreiheit dir andauernd versuchst, zurück zu ergattern etc. Dabei bemerkst du nicht einmal mehr, dass die bewusste Entscheidung schon längst unbewusst gefällt wurde. Und wenn du im Coop oder in der Migros stehst, ein Auto kaufst oder am Kiosk einen Kaugummi auswählst, so bezahlst du erst noch mit annähernd jedem erstandenen Produkt eine Zwangsabgabe an die Wettbewerbsvorteils-Industrie… Seltsam, dass sich an dieser Steuer (wenn du so willst) keiner der liberalen Marktwirschaftsverehrer reibt. Das ist das eine Ende der Wurst.
Das andere, viel dickere: „Werbung streut ihre Kommunikation zwangsläufig über so viele Gegenstände und so viele Empfänger, dass jeder den Eindruck gewinnen muss, dass es Schöneres und Besseres gibt, als er für sich selbst realisieren kann“ (Niklas Luhmann). Streben/Bedürfnis nach Fortschritt ist längst durch die Serienproduktion von Zwangsvorstellungen ersetzt worden. Selbst wenn du dich Werbewirkungen entziehen zu können glaubst; die Umwelt, in der du lebst, wird dies nie vollständig absorbieren können/wollen (schau dich um, wenn du kein Eremit bist) und du selbst bist durch deine Interaktionen notgedrungen und vollständig involviert. Auch (oder erst recht) in der Abgrenzung…
…noch zum Informationen verfälschen: Viel wirksamer ist das Auslassen von Information. Auch das ist Manipulation. Werbung desinformiert, in dem sie Information vorenthält. Das macht Werbung IMMER und konsequent!
Dass du der Absicht kaum Gewicht gibst, scheint mir folgerichtig. Ist das nicht der Nihilismus, der sich aus erschütterten Wertvorstellungen, Idealen und aufgekündigten Übereinkünften speist? In dem du die Absicht (oder die innere Einstellung) desavouierst, müsstest du doch letztlich – im Umkehrschluss – auch Verantwortungslosigkeit dulden. Dieses anything goes, das nicht mehr unterschieden mag zwischen Vernunft und Unvernunft, Normen laufend erodiert etc.
Es ist ja auch in der Rechtssprechung so, dass, wem der Vorsatz für eine Tat nachgewiesen werden kann, richtigerweise strenger bestraft wird, als wenn es sich um ein fahrlässig oder unschuldig verübtes Vergehen handelt. Selbst wenn das Opfer tot ist.
Ausserdem richtet Unwahrheit allein noch selten Schaden an, so lange es Korrektive gibt. Die Absicht aber, die hinter verbreiteter Unwahrheit steckt, diese Absicht erst lässt Menschen auch in der weiteren Konsequenz bisweilen zerstörerisch wirken. Ob die Absicht gekauft ist (kann ich mir in unseren Breiten kaum vorstellen, tut mir leid, wenn dir das unterstellt wurde) oder einfach einer inneren Einstellung entspringt, ist, so meine ich, auch nicht irrelevant, spielt aber wohl nur noch graduell eine Rolle. Aber lass uns nicht in Verschwörungsszenarien abdriften…
November 5, 2013 at 19:13
Ich sehe es einfach nicht. Ich sehe, dass die Werbung dramatisiert, emotionalisiert, abgekoppelte Szenarien kreiert, idealisiert, etc., aber ich sehe die Unaufrichtigkeit oder die Verschleierung der Absicht daran nicht. Bei der Werbung ist die Absicht doch komplett klar: Mir etwas zu verkaufen. Aus meiner Sicht sind bei jeder zwischenmenschlichen Interaktion die Absichten viel verschleierter. Liegt das an mir? Bin ich abnormal und für gewöhnliche Leute ist es genau umgekehrt?
Persönlich zahle ich auch nicht gerne für Werbung, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen. Ich mag Werbung sogar generell nicht, aber ich halte sie einfach nicht für schädlich.
re: “Werbung streut ihre Kommunikation zwangsläufig über so viele Gegenstände und so viele Empfänger, dass jeder den Eindruck gewinnen muss, dass es Schöneres und Besseres gibt, als er für sich selbst realisieren kann”: Ich weiss nicht, ob ich das richtig verstehe. Handelt es sich dabei nicht einfach um ganz gewöhnlichen Statuswettkampf, wobei der Status an Konsumgegenständen festgemacht wird? Hat die Werbung hier tatsächlich grossen Effekt oder reicht nicht bloss das Vorhandensein von Konsumgegenständen aus, damit sich der allzu menschliche Statuswettkampf daran kristallisieren kann?
Werden nicht immer Informationen ausgelassen? Ob in Presse, in persönlichen Gesprächen oder halt in der Werbung? Oder lässt die Werbung stets relevante Informationen aus, während guter Journalismus nur irrelevante Informationen auslässt?
Ich mag ein Nihilist sein mit erschütterten Wertvorstellungen und Idealen, aber es gibt ganze ethische Theorien, die die Absicht nur gering gewichten und denen würde ich nicht allen Nihilismus vorwerfen.
In der Rechtsprechung halte ich es auch für gut, wenn zwischen vorsätzlichen und affektiven und fahrlässigen Taten unterschieden wird. Motive (wie Geldgier, Eifersucht oder Altruismus) sollten meines Erachtens aber die Höhe der Strafe nicht beeinflussen.
Korrektive zur Unwahrheit sehe ich eben nur wenige. Bei der Werbung sind sie mit Konsumentenschutzorganisationen und Informationsplattformen fast noch am besten ausgebaut. Bei der Presse scheint man lediglich darauf hoffen zu können, dass irgendjemand auf die Wahrheit stösst.
November 16, 2013 at 20:30
Danke für Deinen weiteren Kommentar. Anstatt noch einmal darauf zu antworten, habe ich mich aufgrund Deiner Anregungen von einer anderen Seite her mit dem Themenkomplex befasst: http://cuirhommeblog.wordpress.com/2013/11/16/die-leere-in-serie/